An(ge)dacht für Januar 2025
Wer ist mein Nächster, wer meine Nächste? Auf diese Frage gibt es viele Antworten. Familie, Geschwister in Jesu, Arbeitskolleginnen, Nachbarn, Freunde, Vereinsmitglieder, Menschen in meiner Umgebung, bei die Hilfe benötigen – alles Personen, bei denen es nicht schwer fällt, ihnen mit Liebe zu begegnen. Im Dezember hatte ich im Supermarkt eine Begegnung, die mir buchstäblich sehr nahe ging. Es war ein alter „Feind“. Jemand der mir vor Jahren bei der Arbeit das Leben schwer gemacht hat, der mich beleidigte, beschimpfte und sogar körperlich angegangen ist. Bis dahin ist es mir sehr gut gelungen, ihm aus dem Weg zu gehen. Aber plötzlich war er ganz nah. Ich hatte Angst und hoffte nur, dass er mich nicht sehen würde. Als ich schnellstmöglich meinen Einkauf verstaut hatte und mit dem Auto nach Hause fuhr, erschien es mir merkwürdig, dass mein „Feind“ mir, zumindest für wenige Minuten, zu meinem Nächsten geworden war.
Familie, Freunde, Glaubensgeschwister – sie alle waren der Angst vor der Begegnung mit dieser Person gewichen. „Liebe deinen Nächsten“ und „Liebt eure Feinde“. Das klingt, als meinte Jesus zwei verschiedene Dinge. Aber ich habe gemerkt, dass sich diese Gebote auch auf ein und dieselbe Person beziehen können.
Wie oft passiert es, dass uns Menschen beschäftigen, die uns in der Vergangenheit enttäuschten oder wehgetan haben? Wie oft versuchen wir, diesen Leuten aus dem Weg zu gehen und so zu tun, als würden sie nicht mehr existieren? Und wie oft sind uns diese Menschen dann näher als alle anderen? Mit einem ungeliebten Feind leben zu müssen, beschwört oft neue Feinde herauf. Feinde, die uns von innen heraus bedrohen: Angst, Hass, Wut und Scham. Gegen all diese lähmenden Gefühle hat Gott seine bedingungslose Liebe gesetzt.
Die Aufforderung, seine Feinde zu lieben, ihnen Gutes zu tun, für sie zu beten und sie zu segnen, bedeutet kein passives Ertragen. Es beginnt bei jedem selbst, den eigenen „feindseligen“ Gefühlen mit der Liebe, die der Heilige Geist in den Menschen wirkt, zu begegnen. Sich selbst bewusst zu machen, dass Gott diejenigen liebt, die es nicht verdient haben, dass er ihnen Gutes tut und sie segnet, ist der erste Schritt zur Feindesliebe. Zu wissen, dass kein Gebet ungehört an Gottes Ohr vorbei geht, ist nicht nur ein tröstender Gedanke, sondern eine effektive Verteidigung gegen die Ohnmacht, in die Angst, Hass, Wut und Scham führen. Erst wenn Gottes Liebe den Menschen mit seinen eigenen Gefühlen ins Reine bringt, ist Feindesliebe überhaupt möglich.
Das neue Jahr beginnt und damit endet für viele die festliche Zeit von Weihnachten und Jahreswechsel. Nach dem wohlverdienten Urlaub, der besinnlichen Zeit mit Familie und Freunden startet ein neuer Abschnitt auf der Arbeit oder im Rentenalltag in einer Welt, die manchmal voller „Feinde“ zu sein scheint: herrische Vorgesetzte, mobbende Kollegen, lästernde Nachbarn, unbarmherzige Beamte in den Behörden. Aber wir können uns angesichts solcher Menschen gewiss sein, dass Gott uns befähigt, unsere Gefühle in Liebe anzunehmen und dadurch auch Leute, die uns unsympathisch oder sogar feindselig gegenübertreten, als geliebte Geschöpfe Gottes zu sehen und für sie Gutes zu tun, zu beten und sie zu segnen.
Einen friedvollen Start ins Jahr 2025 wünscht Sebastian Hechler